Eindrücke vom 16.05.2021

Empowerment als Widerstand – Zine Workshop

Am 16. Mai, einem regnerischen Sonntagnachmittag, hat sich eine Gruppe in einem hybriden Raum zwischen Hamburg, Basel, Stuttgart, Luzern und weiteren Orten zusammengefunden. In diesem Raum wurde von Natyada (Pronomen: nata/natas) und Whitney (Pronomen: sie/ihr) ein kreatives Zusammenkommen angeleitet. An einigen dieser, per Video-Anruf verbundenen Orten, haben sich Menschen, welche von rassistischen, cissexistischen, ableistischen und/oder weiteren Diskriminierungserfahrungen betroffen sind, einzeln vor einen Bildschirm gesetzt. An anderen haben Menschen mit wieder unterschiedlichen wie auch ähnlichen Diskrimierungserfahrungen zusammengefunden, um zu zweit oder – wie dies am Rheinsprung 21 in Basel der Fall war – zu dritt bis viert an diesem Raum teilzuhaben.

Eine Perspektive in den hybriden Workshop Raum von Basel aus; Bildquelle: RS

Der Grund für dieses Zusammenkommen war der Zine Workshop „Empowerment als Widerstand“, welcher im Rahmen des Kulturfestivals von Bunt! Basel Divers stattfand und von The Art of Intervention und dem Swiss Center for Social Research ermöglicht wurde. In diesem Blogeintrag werden nun Eindrücke von diesem Workshop geteilt. Diese wurden von mir, Roan, einer weissen, neurodivergenten, un_behinderten, genderqueeren trans Person, zusammengetragen. Der Workshop selbst wurde von Natyada Tawonsri und Whitney Bursch geleitet. Whitney ist eine Schwarze Illustratorin und Kunsttherapeutin. Sie ist queer und cis, lebt in Hamburg, wo sie beispielsweise die kreative Plattform und das daraus entstandene Buchprojekt von und für BIPoC Hear Me Out! mitbegründet hat. Natyada ist ein:e Illustrator:in of Colour wohnhaft in Hamburg. Nata ist queer und non-binär. Natas Leidenschaft für Community-Arbeit und -Care setzt nata auch als qualifizierte:r Workshopleiter:in zu Anti-Rassismus, Empowerment wie auch künstlerischen Themen – wie Zines – ein.

Whitney (links) und Natyada (rechts) während dem Zine Workshops am 16.05.2021; Bildquelle: Natyada Tawonsri

Doch was ist denn überhaupt ein Zine? Nach der Vorstellungsrunde haben wir uns dieser Frage gewidmet und zuerst das kurze YouTube Video „What is a Zine?“ geschaut bevor Whitney und Natyada uns mittels ihrer eigenen Sammlung einen Einblick in die Vielfältigkeit von Zines gaben. Im Video wird erklärt, dass ein Zine meist ein kleines Heft ist, welches kostengünstig produziert wird. Auch die Entstehungsgeschichte von Zines wird in diesem Video kurz angeschnitten: während Science-Fiction Fan(maga)zines der 1930er scheinbar Prototypen waren, sind Zines in den Punkszenen und radikalisierten Polit-Kulturen der 1970er Jahren aufgekommen. So begegnen wir ihnen auch heute noch – trotz Internet – ab und an in Comic- und Illustrationsausstellungen oder in anarchistischen Infoläden. Übrigens gibt es auf YouTube unzählige Videos zu diesem Thema, besonders empfehlenswert finde ich das zur Queeren Geschichte von Zines (auf Englisch). Format, Druckart und Umfang kann sich bei Zines auf verschiedenste Arten unterscheiden. Wie dann auch Whitney und Natyada anhand von einigen Beispielen zeigten, gibt es nebst simplen selbst-gefalteten Zines im A6 oder A7 Format auch solche, die mit aufwändigeren Druckmethoden hergestellt und/oder mit einem Tacker geheftet werden. Die möglichen Variationen sind unerschöpflich.

Unter Anleitung der beiden haben wir uns im nächsten Schritt mit der Falt-Methode des ersten Beispiels vertraut gemacht. Dazu braucht mensch nämlich bloss ein A4 (oder A3) Blatt, eine Schere und danach Farb-, Filz- und weitere Stifte für das Gestalten des daraus entstehenden A7 (oder A6) Zines. Bevor wir in den gestalterischen Teil des Workshops eintauchten, hat uns Whitney mit einer Atemübung dem gestalterischen Ausgangspunkt für diesen Workshop nähergebracht. Natyada und Whitney haben zur Inspiration das Thema ‚the spaces we live in‘, also ‚die Räume, in denen wir leben‘ gewählt. Dabei war dieses Thema sehr flexibel und uneingeschränkt zu verstehen, auch ‚Headspaces‘ also unsere ‚gefühlten Innenräume‘ konnten als solche in einem Zine verarbeitet werden.

Durch die achtsame Atemübung, welche Whitney anleitete, konnten wir uns dieser möglichen Räumen bewusst werden und sie geistig einnehmen. Vor allem Letzteres ist gerade für Menschen, welche oft gesellschaftliche Verdrängung und Unsichtbarkeit erleben, ein sehr ermächtigendes Gefühl. In einer Gruppe zu sein und zu wissen, „dies ist ein Raum für uns, unsere Verletzlichkeit, unsere Freude, unsere künstlerische Lust“, war eine enorm schöne und ermächtigende Erfahrung. So wurde das von vielen rückgemeldet.

Als wir in unsere Zines eintauchten und dabei einander von unseren Ängsten, Hoffnungen und Leidenschaften erzählten, ist beispielsweise aufgekommen, dass unsere künstlerische Lust oft durch hohe Ansprüche, Gefühle von Unzulänglichkeit und dem sogenannten Imposter-Syndrom (‚Hochstapler:innen-Syndrom‘) gehemmt oder ausgelöscht wird. Wir konnten in diesem Raum benennen, dass dies nicht individuelle Probleme sind. Diese Ängste sind ein Resultat von Erfahrungen der systematischen gesellschaftlichen Abwertung von Menschen, die nicht der weissen, unbehinderten, cis-hetero-patriarchalen Norm entsprechen.
Diese Unterhaltung hat Whitney beispielsweise in ihrem Zine verarbeitet:

Drei Aufnahmen von Whitney Burschs Zine vom 16.05.2021; Bildquelle: Whitney Bursch

Whitney und Natyada haben es vorbildlich geschafft, dass diese und andere Ängste und Verletzlichkeiten in einem sicheren und mutigen Raum angesprochen und herausgefordert werden konnten. Durch diese Ermächtigung entstanden widerständische Momente der Selbst- und gemeinschaftlichen Fürsorge.

In einem Radiobeitrag für Radio X haben Stella – eine weitere Teilnehmerin – und ich unsere Erlebnisse geteilt. Dieser kann hier nachgehört werden. Einige weitere Eindrücke und Bearbeitungen des Themas ‚the spaces we live in‘ bieten die folgenden Bilder:

   

 

„WELCOME HOME“ Zine von Pei-Jeane; Bildquelle: Bilder von Pei-Jeane


     

                                                  

„OFFEN SEIN REICHT NICHT“ Zine von einer teilnehmenden Person; Bildquelle: Scans v. RS

In meinem Zine habe ich mir die Frage gestellt was Farben und/in Fahnen mit Räumen und Körpern machen. Wie Fahnen selbst-ermächtigend in queeren und widerständischen Bewegungen benutzt werden und zugleich national-staatliche Grenzregimes manifestieren. Solche Überlegungen wurden bei mir durch Schwarze trans und queere Aktivist:innen und queere Aktivist:innen of Colour angeregt. Beispielsweise wie die Farbe weiss in der trans Fahne für neutral, geschlechtslos oder non-binär steht und dabei ein rassistisch hierarchisierendes Narrativ reproduziert, welches besagt, dass hell/Weiss positiv behaftet ist und mit Unschuld, Reinheit, Neutralität verknüpft wird, während dunkel/Schwarz für das Gegenteil steht und meist negativ behaftet ist. Es macht nicht-weisse non-binäre und trans Menschen auf gewaltvolle Art und Weise unsichtbar. Dies ist besonders paradox wenn mensch beachtet, dass viele Schwarze und indigene Kulturen, welche von weissen Menschen kolonialisiert wurden, kein binäres Geschlechtersystem zelebrier(t)en. Dieses ‘weiss-waschen’ (zu Englisch ‘white-washing’) im dominanten trans Diskurs von Genderqueerness und Geschlechtlichkeiten welche sich ausserhalb oder losgelöst eines Zweigeschlechtersystems verorten kann somit als kulturell (neo-)imperialistisch gedeutet werden. Wichtige Auseinandersetzungen mit der Kolonialität von (Trans-)Geschlechtlichkeit bieten beispielsweise das Zine „Decolonizing Gender: A Curriculum“ und das Buch von b. binaohan decolonizing trans/gender 101

„Embodied/BODY spaces beyond flags“ Zine von roan; Bildquelle: Scans v. RS